20110406

nachtrag mm#94 mit jörg meister in würzburg

jörg meister schreibt:

Lieber Roland,

es war wunderbar!

das marathon-konzert #94 ist online: www.myspace.com/Yorkmaster1  (Profil > Musik > nach ganz unten scrollen). 

Es sind inklusive Applaus (ohne Zugabe) exakt 36,5 Minuten!

#95 mit david stützel auf schloss seehaus markt nordheim

das ist der bisher sensibelste einstieg in ein konzert und das ist einerseits der sensibilität von allround-musiker david stützel zu verdanken, andererseits der akustik dieser erstaunlichen kapelle hier im schloss seehaus.

von aussen sieht man nur den ersten querriegel des schlosses mit verbotener tordurchfahrt und den schönen wellen-gauben oben in der dachschräge. schon bevor ich durch die durchfahrt schreite, den roten kombi rechts vor dem tor auf dem kies geparkt, höre ich orgeltöne. rechts in der tordurchfahrt ist der eingang zur kapelle.

david stützel ist also da und überall in der kapelle sind seine instrumente verstreut. oben an der reparaturbedürftigen orgel, die wie ein grosser kleiderschrank aussieht, spielt er eine toccata von bach an, um mir dann die schrägen möglichkeiten auf diesem instrument zu demonstrieren.

david stellt mich jan kobow vor, dem schlossherrn und sänger (tenor), der das haupthaus bewohnt. oben an der breiten treppe begrüsst er mich und bietet uns in der riesigen küche kaffee und streuselkuchen an. in welchem der zimmer ich denn übernachten wolle?

man ist in einer anderen, lang vergangenen zeit, verzierte betten, die ganz ähnlich in den goldgerahmten ovalen an der wand mit opulenten frauen dekoriert wieder auftauchen, lange fluchten, rechts und links des zentralen treppenaufgangs liegen die bäder...

in der kapelle ist's ziemlich kalt. bis kurz vor acht probiert david seine instrumente aus, ich lege marathon-slogan-karten auf die ablage der kirchenbänke. das publikum, das pünktlich erscheint, nimmt auf freistehenden stühlen im halbkreis um uns herum platz.
etwa 20 personen.

eine kleine einführung von jan kobow, in der er betont, dass nur meine hartnäckigkeit zum ziel geführt hätte, marathonkonzert #95 hier und heute in schloss seefeld unterzubringen. ganz stimmt das nicht, denn der eigentliche mittelsmann ist mein mitmusiker david.

dann wie üblich von mir die vorstellung des marathons mit schwerpunkt tuttinale.

wir deuten melodien an und sie tragen uns fort. das cello zart und rauchig, fast quietschend.
obertöne von david.

er reibt am henkel eines hellblauen, halb mit wasser gefüllten email-topf, dem er glasharfen-nahe klänge entlockt, die durch das schaukelnde wasser im topf verfremdet werden.
die klänge, die er auf der säge produziert, erinnern mich an die des theremin, haben aber auch ähnlichkeiten mit dem, was vom milchtopf zu hören ist.

meine stimme ist hoch und brüchig. mit ganz wenig druck kann man hier in dieser akustik wundervolles entstehen lassen.

david wechselt oft die instrumente. da sich deren sounds (topf,säge, obertongesang, selbstgeschnitzte schilfrohrflöte) aber ähneln, wirkt das nicht beliebig. auch die klarinette passt gut zu meinem obertonreichen cellospiel, bei dem ich den bogen nahe am steg führe.

in anderen fällen hätte mich der ständige wechsel der instrumente irritiert. da david aber wirklich sehr häufig wechselt, hat das einen grossen reiz.
jetzt spielt er flöte, eine minute später singt er, dann produziert er obertöne...eine reise durch seinen gesamten instrumente-park, die aber immer gut auf mich abgestimmt ist.

immer sind die ohren offen, immer herrscht sensibilität, häufig ist das konzert im pianissimo-bereich. dennoch nicht wirklich leise.
eine unglaubliche akustik für sensibles, fast unhörbares musizieren.

gitarre und gesang. auch david singt gelegentlich kurz.
merkt man, dass gitarre sein <eigentliches> instrument ist?

obwohl wir immer ganz dicht mit dem ohr zusammen sind, gibt es bisweilen nur parallelität. zeiten, wo ich einfach meine musik mache und nur wahrnehme, aber kaum reagiere.

das funktioniert.

pause. neueinstieg. das cello lasse ich bewusst mit der klassischen gitarre kollidieren. legt sie david deshalb weg? auch wenn es so wäre, würde man es nicht so wahrnehmen. denn der häufige wechsel der instrumente ist programm und deswegen kaum so zu interpretieren.

das dann folgende duo aus cello und säge.
eine einlage, die sehr frei daherkommt.
david wechselt von der säge auf's mundstück der klarinette.

dann ein rauschen. ich lege das cello weg und produziere sounds mit der spucke-pfeife. das geht eine weile lang sehr gut mit den tönen...jetzt des saxophons und wird immer experimeneller.

einen moment gibt es, indem es sich anhört, als würde ich david etwas trotzig begleiten.

vom sxophon zur stimme und dann wieder zur flöte.
selbst der wechsel zur geige gemischt mit oberton-sounds kann mich nicht von der spucke-pfeife abbringen.

irgendwann bricht dann aber doch ein lied aus mir heraus, das sich sehr an der vorgabe der geige orientiert.

die gute, präsente akustik kittet auch das teilweise doch sehr bruchstück-hafte dieses abends zusammen.

dann entgleitet mir die melodie und ich versuche, die einsamkeit, die mir durch davids geigenspiel suggeriert wird, durch aleatorisches überlagern von daumenklavier auf cello-saiten zu vertreiben.

diese gelungene musik-collage geht in ein gezupftes solo von david über, das tänzerisch und schneller wird, sich dann aber schnell wieder zurücknimmt.

dann ist das cello im vordergrund. kurz alleine, bald von der oboe flankiert. bisweilen klingt es, als wolle ich musikalische grenzen durchbrechen, die ich zu spüren scheine.

dann aber ist unsere gemeinsame zeit schon rum.

zugabe. da ich merke, dass david wieder an den töpfen operiert, geselle ich zur darbuka schnell noch mundharmonika und stimme.

das ist für mich das einprägsamste stück des gesamten konzerts.

nach dem konzert ist das publikum bei jan kobow eingeladen.
guter wein, käse, erdbeeren, schlagsahne, pralinen. genau so erlesen wie das buffet ist das publikum. ich unterhalte mich mit grafen, grossgrundbesitzern, jägern, einer jazz-sängerin, einem comic-zeichner und mit jochen vetter, der unser konzert gefilmt hat. wie sich herausstellt, ist er der bruder des obertonsängers michael vetter.

mm#94 mit jörg meister, synthesizer, sax, schlagzeug

es ist, wie wenn mein cello von den wässrig-wogenden synthetischen klängen, die jörg meister produziert, geimpft wäre.
der ehemalige kühlraum im künstlerfürstentum neu-wredanien, in dem wir spielen, hat ein so kurzes echo, dass alles, was gespielt oder gesungen wird, verzerrt klingt. schon alleine das bildet eine starke einheitlichkeit in unserer musik.
 
alles schwimmt künstlich-metallisch.

nur wenn wir ganz leise spielen, weicht diese künstlichkeit ein wenig. 

cluster überwiegen.

duo cello-perkussion: alles harmonische weicht, jetzt geht es atonal weiter. immer wieder klingt's kurz wie donnergrollen. das gewitter bleibt aus. 

eine zeitgemässe version von vivaldis vier jahreszeiten, in der der sturm nie losbricht. in der sturm und bedrohung immer schon da sind. man versucht, sich durch gesänge oder rhythmen zu beruhigen, aber es kann nicht gelingen.

auch als das atonal-lyrische cello einmal für 20 sekunden alleine spielt (jörg meister wechselt zurück zum synthi), weicht die bedrohlichkeit kaum. 

diese interpretation drängt sich sicher nur wegen der raum-resonnanz auf, denn sie bleibt auch bestehen, als jörg eine sehr melodische passage spielt, die für mich die stimmung widerspiegelt, die man haben mag, wenn ein roter mund auf einer riesigen leinwand ein rosarotes bonbon lutscht.

zum ersten mal benutze ich bei diesem 84.konzert ausführlich die kleine blues-harp, die mir walter zuleger zum geburtstag geschenkt hat. erst deren volkstümlichkeit kann die bedrohlichkeit in diesem konzert für einen moment bannen. 

gegen ende entsteht ein schweres, dunkles duo cello versus synthesizer, das leider etwas unvermittelt abbricht.
 
hier hätte auch schluss sein können.

es folgt etwas klanglich fröhliches, inspiriert durch das saxophon-spiel von jörg. ich versuche mich dazu im wechsel von stimme und bambusflöte oder beidem gleichzeitig.

die zugabe beginnt mit darbuka, schlagzeug und stimme, bei der der kurze hall des raumes noch einmal besonders hervortritt...