20110727

#207 mit mir und mit strassenlärm ohne cello, mit sinalco-flasche

es ist das zweite konzert ohne zuhörer, heute noch reduzierter als gestern: ohne mitmusiker. mitmusiker sind regen, strassenlärm, hupen, eine sinalco-flasche, in die ich leise hineinsinge, sie als leises perkussionsinstrument benutze.  

ich fange schon vor 19 uhr an zu <musizieren>, weiss aber durch die kirchenglocken, wann mein konzert offiziell beginnt. 

eine einspielphase scheint mir heute nicht schlecht, das unperfekt-haus muss sich an diesen merkwürdigen menschen gewöhnen, der da im vierten stock draussen auf dem balkon vor raum 404 sitzt, zwei mikrofone vor sich, den <spiegel> von letzter woche neben sich auf einem holztisch, an einem sinalco-fläschchen nippt, immer wieder mit der hand die mikrofone schützt, dass sie möglichst wenig wind abbekommen. dieser jemand, der vor sich hinsummt und nicht so recht zu wissen scheint, was das sein soll, was er da macht: eine incognito-performance zwischen tür und angel, zwischen draussen und drinnen.

aber mit dem glockenschlag wird die musik dann deutlicher, den eigentlichen beginn setze ich aber erst, als das glockengeläut vom zweiten kirchturm einsetzt. kurz nach einem hustenanfall, der ja nicht dazugehören muss.

was ist denn da nun zu hören? ein heiteres summen und vor sich hin singen...manchmal lese ich etwas aus dem <spiegel>, nichts verständliches ausser worten wie: <basta>...und <wahnsinn verbindet>. ich bin nicht entschlossen genug, ein hörspiel zu fabrizieren, also bleibt alles unbestimmt, schon allein der wind, der immer wieder in die mikrophone bläst, weist auf den heutigen vorrang der umweltgeräusche hin und diese undifferenziertheit des lärms und des windes sind musikalisch nicht sehr anregend, aber ich freunde mich zusehens mit der immer leerer getrunkenen sinalco-flasche an und vermutlich wird dieses konzert #207 als die <sinalco-flaschen-streetnoise-balkon-romanze> in mein lebenswerk eingehen. eine sehr zurückhaltende, tief seufzende romanze auf schleppendem rhythmus, die sich ganz allmählich und zwanglos entwickelt. 

irgendwann nämlich scheint mich die öffentliche umgebung hier nicht mehr allzu sehr zu stören, denn ich singe jetzt lauter und ungezwungener, doch immer eng mit der limonaden-flasche und dem strassenlärm verbunden, der immer mehr zu einem tosen anschwillt. und vielleicht ist es auch das, was mich unbefangener macht.
 
nach sechsundzwanzig minuten einsingen fühle ich mich ziemlich ungehemmt, allerdings bleibe ich so leise, dass alle anderen geräusche immernoch gleichwertig wahrgenommen werden können, vor allem schreiende kinder komplettieren meine musik. 

eine sinalco-flaschen-perkussion klingt wie tropfender regen, dazu singe ich grummelnd mit sehr tiefer stimme. das zieht dann einen schärferen rhythmus nach sich und der wieder ein kleines, rhythmisches lied und das wieder eine noch exaktere rhythmische form und diese wieder freiere formen mit der stimme. gegen ende singt die stimme sehr hoch in die sinalco-flasche hinein. dieses leise kreischen passt bisher am besten zu den umgebenden geräuschen, vermutlich, weil es am wenigsten musik ist, weil es entfernt an quietschende reifen erinnert, aber auch an heulende kinder. es musste wohl fast das ganze konzert über dauern, bis ich die richtige musikalische sprache zu diesem stadtlärm gefunden habe.  die letzten 5 minuten des konzertes haben etwas, was man als gelungen bezeichnen kann... 







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